Vom Gravelbike zum Allroadbike

Wie in meinen beiden vorangegangenen Beiträgen (Scott Speedster Gravel 20 und Scott Speedster Gravel 30) deutlich wurde, ist mein Gravelbike definitiv nicht der Inbegriff von Perfektion. Bestand zwar Grund zur Annahme, dass sich daraus ein solides Allroadbike basteln ließe, gab es dennoch signifikanten Spielraum an allen Ecken und Enden. Die vergangenen Monate wurden deshalb intensiv genutzt, um vielfältig nachzubessern und das Rad ganz auf meine Bedürfnisse abzustimmen. Einige dieser Upgrades möchte ich euch nicht vorenthalten und hoffe, dass sie der einen oder anderen Person Mut für ihre eigenen Umbaupläne machen.



Grundgedanke: Bereits beim Kauf dieses Rades stand fest: Es sollte ein Rad für alle Fälle sein. Mit dem Kauf eines Gravelbikes erhoffte ich mir, eine möglichst große Bandbreite an fahrbaren Szenarien zu verschaffen. Von spritzigen Ausfahrten auf der Straße über Mehrtages-Bikepackingtouren bis hin zum Runterbrettern „anspruchsvoller“ Singletrails sollte alles machbar sein – natürlich immer im Rahmen des Möglichen. Offen blieb lediglich, wie (und v.a. wie weit) man diesen Rahmen ausreizen könnte.



Schnell begab ich mich daher auf die Suche nach Möglichkeiten, um meinen Vorstellungen ein Stück weit näher zu kommen. Sechs Monate später beschleicht mich der Eindruck dieses Vorhaben recht zufriedenstellend umgesetzt zu haben, weshalb ich euch gerne jene vier Upgrades vorstellen möchte, die mir die Zeit am Rad erheblich versüßen – welche wären: Lenker, Vorbau, Kassette und Laufradsatz.



Lenker: Der verbaute Lenker (Syncros Creston 2.0 X) kommt mit einer Breite von 44cm daher. Dies mag intuitiv logisch erscheinen, werden doch an Gravelbikes tendenziell breitere Lenker angeraten. Für mich gestaltete sich dieser Umstand jedoch insofern negativ, als dass die Kombination mit dem 11cm langen Vorbau (Syncros RR2.5) zu einer sehr lang gestreckten und „aufgefächerten“ Sitzposition führte. Eine direkte Folge daraus: Schmerzen im Schultergürtel. Meine erste Umbauarbeit bestand daher darin, den Lenker auszutauschen.

Mit 42cm Breite ist der neue Ritchey WCS Venturemax V2 Di2 an den Hoods spürbar schmäler und damit schonender für meine Schultermuskulatur. Dank seines Flares von 24° bleibt der Lenker jedoch immer noch angenehm breit, um in anspruchsvollem Gelände nie die Kontrolle zu verlieren. Überdies bietet er einen geringeren Drop, wodurch sich das Fahren im Unterlenker deutlich entspannter gestaltet.

Der größte Vorteil dieses Lenkers besteht aber vermutlich darin, dass sich die enge Griffbreite im Oberlenker bei Ausfahrten auf der Straße aerodynamisch günstig auswirkt wohingegen die Vorzüge eines breitgriffigen Unterlenkers im Gelände erhalten bleiben. Die Reduktion der Lenkerbreite führte aber zeitgleich zu einer Verminderung der Agilität die ich eigentlich sehr zu schätzen weiß. Der Austausch des Vorbaus sollte diesen Umstand wieder wettmachen.



Vorbau: Wie oben bereits erwähnt, wird das Rad mit einem 11cm langen Vorbau ausgeliefert. Meine Sitzposition fiel daher (für meinen Geschmack) ein klein wenig überstreckt aus. Wer sich selbst ein Bild davon machen möchte, kann in meinem Vergleich zweier Größen dieses Rades die zugehörigen Fotos sichten. Diesen Umstand zu beheben, gestaltet sich bei Scott jedoch ausgesprochen mühevoll.

Der verbaute Vorbau bündelt nämlich alle Kabelzüge und Leitungen an der Unterseite, um sie anschließend ins Steuerrohr einzuführen. Es handelt sich also um einen Anbauteil, den man nur bei Scott direkt erwerben kann. Blöd daran ist die voraussichtliche Lieferzeit des Vorbaus, nämlich 8 Monate. Aufgrund von Lieferengpässen sind bestimmte proprietäre Anbauteile schlichtweg nicht erhältlich, wodurch man sich leicht in einer Situation wiederfindet, in der man erfinderisch werden muss.

Neben der individuellen Cockpitgestaltung macht sich auch noch der verwendete Gabelschaftdurchmesser ungünstig bemerkbar, denn 1 1/4 Zoll sind nicht üblicher Standard. Die Suche nach einer zeitnah verfügbaren Vorbau-Alternative gestaltete sich daher zum zeitraubensten Vorhaben – endete aber glücklicherweise in einem Produkt, das ich sehr zu schätzen gelernt habe: dem Redshift Shockstop.



Dieser Vorbau (hier in 90mm Länge) ist in verschiedenen Gabelschaftdurchmessern und Vorbaulängen zeitnah (!) verfügbar und bietet einen signifikanten Vorteil gegenüber vielen anderen Alternativen: er ist gedämpft. Der Redshift Shockstop Vorbau besitzt eine integrierte (und flexibel einstellbare) Elastomerdämpfung und lindert damit jenen Nachteil, den ich bereits in meinem initialen Verdikt beschrieben hatte. Er absorbiert alle harten Schläge und glättet Bodenunebenheiten spürbar und souverän aus.

Das Wippen des Vorbaus macht sich dabei nur anfangs ungewohnt (aber nie negativ) bemerkbar und trägt zu einer extremen Steigerung der Fahrqualität bei. Generell liefert dieser Anbauteil den größten Mehrwert in Sachen Komfort. „Dank“ der individuellen Cockpitgestaltung von Scott lässt sich dieser Vorbau allerdings nicht ohne Adaptionsarbeiten montieren. Um die ungehinderte Rotation am Gelenk zu ermöglichen, müssen die Kabel an tieferliegender Stelle ins Steuerrohr eingeleitet werden. Hierzu habe ich einige Spacer getauscht und mit einer Feile (direkt unter dem Vorbau) zurecht geschliffen. Optisch ist dieser Umbau sicherlich nicht makellos – trotzdem ist der Aufwand für die Installation überschaubar und sollte problemlos machbar sein. Der dadurch gewonnene Komfort ist es mit Sicherheit wert!

Update: In einem eigenen Beitrag bin ich nochmals näher auf die Montage des Redshift-Vorbaus eingegangen.



Kassette: Mehr als wert war für mich auch der Tausch der Kassette, denn obwohl die Übersetzung schon sehr benutzer:innenfreundlich ausgelegt war (30 vorne, 34 hinten) kam ich regelmäßig an meine Grenzen. Berechtigerweise werden an dieser Stelle viele Fragezeichen aufpoppen, weshalb ich kurz meine Beweggründe darlegen möchte.

Das Scott Speedster Gravel 20 kommt in der Größe M mit einem Kampfgewicht von knapp über 11kg daher. Diesen Koloss 18-prozentige Steigungen im verschneiten Gelände hochzuwuchten, macht nicht immer Spaß. Belädt man jetzt das Fahrrad noch mit Gepäcktaschen und macht sich auf den Weg zu einer Mehrtagestour, lernt man jeden zusätzlichen Zahn am Hinterrad zu schätzen. Ziel war es daher, die Systemgrenzen der GRX-Schaltung von Shimano auszuloten oder vielmehr noch: sie zu sprengen.

Bestückt wurden meine Laufräder nämlich mit Shimano XT 11-40 Kassetten. Die neue Übersetzung (30 vorne, 40 hinten) ermöglicht mir damit wesentlich angenehmere Trittfrequenzen, ist offiziell (!) aber nicht mit der verbauten Schaltgruppe kompatibel. Schaltet man sowohl vorne als auch hinten auf den größten Zahnkranz, wird auch ersichtlich weshalb. Der Schaltkäfig steht in einer dermaßen horizontalen Position, in der er definitiv nie stehen dürfte – und unter Belastung auch nie stehen darf.



Dieser Umbau ist daher nur eingeschränkt empfehlbar. Das Schaltwerk in die oben beschriebene Stellung zu führen kann nämlich zu einem Ketten- oder Schaltwerkabriss führen. Aus diesem Grund wird folgende Regel unbedingt (!) eingehalten: Befindet sich die Kette am großen Kettenblatt, werden die drei größten Ritzel unter keinen Umständen verwendet.

Wer sich von dieser Einschränkung nicht abhalten lässt, darf sich aber einer wunderbaren Übersetzungsbandbreite erfreuen. Überdies funktioniert der Umbau (bis auf eine Neujustage der B-Schraube) komplett problemlos. Radfahrer:innen mit hoher Kadenz wissen die Vorzüge einer solchen Kassette mit Sicherheit zu schätzen und trotz der gröberen Gangabstufung empfinde ich das Pedalieren als ausgesprochen angenehm. Aus diesem Grund verwende ich die gleiche Kassette auch auf beiden Laufradsätzen – womit ich sogleich zum letzten Upgrade meines Gravelbikes weiterleiten möchte.



Laufradsatz: Um meinem Ziel näherzukommen, bedurfte es noch eines zweiten Laufradsatzes. Immerhin möchte ich mein Gravelbike auch als Rennrad verwenden können, ohne dabei zuviele Abstriche machen zu müssen. Hierfür habe ich mich für ein Paar Hunt Aerodynamicist 44 Laufräder entschieden. Sie verschaffen einerseits die Vorteile einer aerodynamischen Hochprofilfelge ohne zeitgleich übertrieben windanfällig zu sein. Mit einer 30mm breiten Tubeless-Bereifung lassen sie sich außerdem sehr komfortabel fahren und beschleunigen erfrischend leichtgängig.

Generell reduziert sich das Gesamtgewicht des Rades von rund 11kg auf ungefähr 9,7kg (ohne Pedale). Damit gehört das Gefährt definitiv nicht zu den Leichtgewichten in seiner Klasse, für ein Allroad-Bike aus Aluminium ist es aber dennoch im erträglichen Rahmen und für meine mediokren Leistungswerte reicht es allemal aus. Ähnlich wie der Redshift Shockstop Vorbau den Komfort zu steigern vermag, gelingt es den Hunt Laufrädern den Fahrspaß in die Höhe zu treiben. V.a. bei Geschwindigkeiten jenseits der 35km/h wird dies spürbar, wenn sich der geringere Leistungsaufwand deutlich bemerkbar macht.

Durch die Verwendung der gleichen Kassette sowie Bremsscheiben ergeben sich keine Unterschiede für die Aufnahme im Rahmen und der Laufradtausch gestaltet sich erfreulich unaufwendig. Dies ermöglicht mir ein zügiges Modifizieren meines Rades je nach bevorstehender Runde – außerdem spart es Platz in unserer Wohnung (immerhin hängt ein Fahrrad weniger an unseren Wänden).



Mein Fazit zu den Upgrades:

Wie unschwer zu vermuten ist, bin ich über meine Adaptionen am Rad ausgesprochen glücklich und würde die meisten davon uneingeschränkt weiterempfelen. Lediglich beim (inkompatiblen) Kassettentausch muss ich zu Vorsicht mahnen, denn der Umbau bringt einige Tücken in der Anwendung mit sich. Überdies sollte man sich der möglichen negativen Konsequenzen im Falle eines Schadens (in Punkto Gewährleistung, etc.) bewusst sein. Wer sich dieser Aspekte jedoch gewahr ist, kann seinen Fahrspaß durch einen Tausch seiner Kassette aber mit Sicherheit erhöhen.

Ungeachtet dessen erweisen sich alle anderen Upgrades als uneingeschränktes Plus im Fahrbetrieb. Lenker und Vorbau sorgen für ein erhebliches Mehr an Komfort und v.a. die Dämpfung erweist sich als echter Gamechanger. Situationen in denen mir der Lenker auf Singletrails aus der Hand geprellt wird (wie in meinem Ersteindruch beschrieben) kommen schlichtweg nicht mehr vor. Die Sicherheit am Rad wurde gerade in technisch anspruchsvollen Momenten erheblich gesteigert und das Befahren dezidierter MTB-Trails macht jetzt mehr Spaß denn je.

Äquivalent dazu erweist sich der Einsatz des zweiten Laufradpaares als echter Gamechanger auf der Straße. Der Wunsch, mein Gravelbike auch als Rennrad nutzen zu können wurde damit definitiv erfüllt und gestaltet sich zufriedenstellender als erwartet. Klarerweise fehlt dem Rad (ob seines Gewichtes) ein erhebliches Maß an Spritzigkeit, dennoch lässt es sich zügig beschleunigen und hält dank der neuen Laufräder solide seine Geschwindigkeit. Mit den 30mm breiten Reifen lassen sich überdies kurze Abstecher auf schottrigem Untergrund bewältigen, weshalb es keinen Grund zu unangebrachter Zimperlichkeit gibt.

Im Großen und Ganzen würde ich damit behaupten, dass sich die Idee von einem wahren Allroadbike sehr wohl verwirklichen lässt. Stets mit gewissen Limitationen aber zeitgleich: stets am Start.


Autor: Lukas

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2 Kommentare zu „Vom Gravelbike zum Allroadbike

  1. Servus Lukas,
    vorab schon mal gratuliere ich dir zu deinen erfolgreichen Anpassungen am Fahrrad und bedanke mich für deine bisherigen Reviews zu dem Modell. Ich bin mittlerweile seit kurzem selbst Besitzer eines Scott Speedster Gravel 20 (Modell von 2023) und konnte heute meine erste größere Runde drehen. Bei der Auswahl des Bikes bin ich zuerst eines in der Größe M probegefahren, musste aber feststellen, dass ich hier eindeutig zu weit nach vorne gelehnt sitze, was sich durch meine Größe von 183cm mit einer Innenbeinlänge von ~90cm begründen lässt. Basierend darauf habe ich mich nun für die Größe L entschieden. Mit dem größeren Rahmen ist allerdings ein anderer Nachteil augetreten, den ich erst heute im Zuge meiner Tour bemerkt habe: die gestreckte Sitzposition – ich empfinde diese auf Dauer ebenfalls als unbequem.
    Über kurz oder lang werde ich diese ziemlich sicher mit einer Änderung des Vorbaues anpassen. Mein Plän wäre hierbei die nächsten Monate noch abzuwarten, bis der Syncros RR 2.0 Vorbau mit 70 oder 80mm wieder verfügbar ist. Nichtsdestotrotz betrachte ich den von dir verbauten Redshift als äußerst attraktive Alternative, sollte ich also ungeduldig werden, würde ich diesen definitiv in Betracht ziehen – diesbezüglich möchte ich mir bei dir erkundigen, ob du eventuell noch nähere Details zum Vorbau-Umbau teilen könntest: bist du mit den vorhanden Spacern ausgekommen und an welchen Stellen musste hier die Feile zum Einsatz kommen?
    Ich bedanke mich schon übere eine eventuelle Rückmeldung und ich wünsche dir noch viel Spaß mit dem Allroad-Bike.

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    1. Servus Daniel,

      vielen herzlichen Dank für deinen überaus netten und ausführlichen Kommentar!
      Einige deiner geschilderten Probleme durfte ich ja leider auch selbst schon (im buchstäblichen Sinne) erfahren.
      Finde es aber schön zu wissen, nicht der einzige damit zu sein und hoffe doch sehr, dass auch du die Feinarbeiten zu deiner Zufriedenheit hinbekommen wirst.
      In jedem Fall habe ich deinen Kommentar direkt zum Anlass genommen, um die Montage des Redshift-Vorbaus nochmals genauer darzustellen. Du findest den Beitrag unter:

      https://lauchsalat.com/2023/04/11/redshift-shockstop-test-und-montage/

      Ich hoffe, er liefert dir hilfreiche Informationen und trägt zu einer eindeutigeren Entscheidungsfindung bei.
      In jedem Fall wünsche ich auch dir viele unfassbar schöne und aufregende Kilometer mit deinem neuen Bike!
      Genieß die schöner werdenden Tage =)

      Liebste Grüße
      Lukas

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